Als ich auf der Buch Berlin über den Stand einer Freundin stolperte und dabei ein Fantasy-Buch in zwei Teilen sah, die beide dasselbe Cover hatten, war ich neugierig. „Na ja, epubli hat den Umfang halt nicht erwartet“, hieß es. „Das Buch hat etwas den Rahmen gesprengt.“ Ich machte einen Witz darüber, dass dieses Buch dann hoffentlich auch die Genre-Grenzen sprengen und mich mit einem neuen Ansatz von Fantasy überraschen würde. Und es stellte sich heraus: Genau das hat es geschafft.
„Aus der Asche“ versammelt einen ziemlich beeindruckenden Cast an Figuren (der aber dankbarerweise mit Übersicht und Familien-Stammbäumen ausgestattet wird) in einem Fantasy-Setting. Allerdings mal nicht in einer High Fantasy, sondern in einer dystopischen Großstadt mit einer Stimmung, die in Teilen an Steampunk erinnert, in Teilen die Moderne unserer Zeit mitnimmt. Und die Themen sind hochaktuell: Während der Großteil der Figuren sich mit der Mafia eingelassen hat, Teil davon oder davor auf der Flucht ist, besteht ein anderer Teil der Figuren aus privilegierten Studierenden. Dadurch ergibt sich eine diverse Sicht der Figuren mit verschiedenen persönlichen Plots um den Hauptplot herum: Die Stadt befindet sich in einer Debatte um Recht für die magischen „Kreaturen“, die sich in politischen Debatten und Straßenkämpfen entlädt, denn genau diese Rechte gab es eben bisher nicht.
Dass es dabei um magisch begabte Bürger*innen dieser Stadt geht, rückt in diesen Teilen der Handlung gern mal in den Hintergrund. Dass die magischen Fähigkeiten dabei aber immer wieder in diesen Plot eingebunden werden, funktioniert erstaunlich gut – und führt auch nicht dazu, dass diese Seite des Konflikts auf einmal übermächtig wäre. Die Polizei ist entsprechend ausgerüstet, besteht nur aus Menschen und ist voller Vorurteile und Abwertung für die Kreaturen. Dagegen bildet sich langsam eine Bewegung von linken Studierenden…
Die gesamte Gesellschaft um diesen Hauptplot und all die Nebenplots der einzelnen Figuren herum wirkt damit wirklich sehr dreidimensional ausgearbeitet und macht es sehr angenehm, sich als Lesende in diese Welt hineinzuversetzen. Zunächst hatte ich etwas Angst, das wäre in einem Setting voller Gang-Kriege nicht möglich, in dem viele Beschreibungen mir auch klassistisch erschienen. Aber das alles wurde nach wenigen Kapiteln beim Ausweiten des Plots viel besser und so ausführlich wie beschrieben. Die ausführlich ausgearbeitete Gesellschaft machte es auch einfacher, so viele Figuren zu managen: Sie hatten alle ihren Platz, ihren Sprachcode, ihre Familien und zugehörigen Orte und Leben.
Die Figuren selbst waren dabei wirklich mit das Beste an diesem Buch. Nicht nur, dass sie alle diese Zugehörigkeit zu ihren Familien, Freund*innen und Hintergründen hatten (oder eben nicht, und auch das war dann dreidimensional ausgearbeitet) – diese Story ist auch voller ausgearbeiteter und wunderbarer Frauenfiguren. Diese Frauenfiguren stecken am Anfang noch größtenteils in stereotypischen Rollen fest, die sie auch reproduzieren – viele haben aber tolle Entwicklungen und es macht großen Spaß, sie durch diese Story zu verfolgen und ihnen bei dieser Entwicklung zuzusehen. Und es taucht eine nichtbinäre Figur im Hintergrund auf! Das war auch cool, auch wenn sie sich sofort mit Feindlichkeit ihr gegenüber herumschlagen muss. Und so viele Figuren sind queer, casually, auch mit Folgen davon, aber eben nicht primär. Es ist wundervoll.
Einziger kleiner Wermutstropfen: Vermutlich ist es einfach auch realistisch – aber ich hatte meine Probleme damit, nachzuvollziehen, weshalb die privilegierten Bürgi-Studierenden weiterhin mit ihren Eltern, die alle den Kreaturen gegenüber feindlich eingestellt waren, den Kontakt gehalten und sich weiterhin mit ihnen getroffen haben. Gerade in Kombination damit, dass viele von ihnen „die Guten“ waren oder sich zumindest dafür hielten. Aber dadurch gab es, vielleicht unbeabsichtigt, auch noch eine weitere Ebene Verständnis für Kritik an ihnen, was die Grenzen von Gut und Böse noch ein kleines bisschen mehr verschwimmen ließ.
Abschließend sollte noch gesagt sein, dass diese Bücher ganz schön krass sind. Gewalt wird in viel Detail erzählt und ist intensiver Bestandteil des Plots. Für mich hat das mit dem Setting und den Figuren gut funktioniert, aber es macht die Lektüre definitiv auch zu etwas, das härter ist als andere Urban Fantasy. Ich gebe unten noch, wie üblich, die Content Notice – aber wenn ihr so etwas lesen mögt, kann ich euch diese Bücher sehr empfehlen! Ich bin sehr begeistert vom dichten Plot und bin sehr gespannt, was da noch in den nächsten Teilen der „Chroniken von vier Familien“ auf mich zu kommt, wenn die erscheinen!
[Content Notice (enthält Spoiler!): gewalttätige Eltern (Bd. 1, S. 479-82, Bd. 2: 178), Misogynie, Sexismus, (Relativierung von) Transfeindlichkeit (Bd. 1, S. 460), internalisiertes Bodyshaming von Figuren, Bezeichnung von Feindlichkeit in einem Fantasy-Setting als Rassismus, Polizeigewalt, Alkohol, Leichen, Gore, Referenz zu Vergewaltigung (Bd. 2, S. 158), Schwangerschaft, Tod eines Kindes, Shaming von Sexarbeit]