[Rezension] Elizabeth Bishop: Gedichte

Ich lese viel zu wenige Gedichte. Immer wieder, wenn sie im Studium vorkommen und ich begeistert den ganzen Band der besprochenen Autorin verschlinge, merke ich das. Und trotzdem habe ich mir in den letzten Tagen zum ersten Mal einen Gedichtband ausgeliehen.

Gedichte lesen sich anders – das war meine Erwartung, und das hat sich auch bestätigt. Ich lese viel „schwere“ Literatur auch mal zwischendurch: Mittelhochdeutsch, Tolkien mit seinen ewigen Beschreibungen, Sachliteratur. Auch diese Gedichte konnte ich in der Bahn lesen – musste sie dann aber nach ein paar Seiten wieder weglegen. Gedichte lassen sich nicht zur Eile treiben, das habe ich einmal in der Oberstufe gehört und zumindest für die Gedichte von Elizabeth Bishop kann ich das bestätigen.

Sie war schon lange auf meiner „Sollte ich wirklich irgendwann mal lesen“-Liste, aber vor allem deshalb, weil ich sie als jung und feministisch verstanden habe. Dass sie auch gesellschaftskritisch und queer war, hat die Lektüre umso angenehmer gemacht. Endlich mal Gedichte, die nicht nur schön klingen, sondern neben dem Sinn für schöne Worte auch den Sinn für inspirierenden, kräftigenden Inhalt ansprechen. Und ja, ein wenig von ihren Vokabular ist veraltet und entsprechend unpassend diskriminierend oder exotisierend. Da wünsche ich mir eine Überarbeitung, denn das würde sie heute sicher nicht so machen. Aber zum Glück trübt dieser Nachteil nur wirklich wenige ihrer Gedichte.

Ich habe die zweisprachige Ausgabe gelesen, einfach, weil es gerade keine andere in der Bibliothek gab, und ich kann sie sehr empfehlen. Für Blicke nach rechts auf die deutsche Seite war es auch mir manchmal sehr von Nutzen, wenn das Vokabular sehr veraltet war. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es auch Englischlernenden mit weniger Kenntnissen die Möglichkeit gibt, dem Rhythmus nachzuspüren und erste Formulierungen aus den anderen Gedichten und aus dem Wortschatz wiederzuerkennen, ohne in fehlender Bedeutung unterzugehen. Dass die Übersetzung jeweils auf der rechten Seite steht und Gedichte notfalls auf der nächsten linken Seite weitergehen, finde ich sehr gut gelöst: Es lässt Lesende gut den Überblick behalten und lässt ihnen die Wahl, auf welche Seite und Sprache sie gerade den Fokus legen wollen.

Wenn ihr Gedichte mögt, und besonders feministische Gedichte, kann ich euch den Band sehr ans Herz legen! Und wenn ihr eher weniger Gedichte „einfach so weglest“, fangt ihr vielleicht mit meinen Lieblingsgedichten an:

  • Sleeping standing up
  • Insomnia
  • One Art
  • North Haven

Damit wünsche ich euch viel Spaß beim Einstieg in feministische Lyrik, die mal nicht aus den letzten fünf Jahren kommt! Zumindest mir gibt dieser Einblick in eine feministische historische Tradition etwas Hoffnung für unsere Zeit und das, was noch kommen kann.


[CNs: Suizid (S. 176-279), Vergewaltigung (S. 124-127)]

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