Bücher, von oben betrachtet

Nicht auf halbem Weg aufhören!

Die meisten von uns (in der „deutschsprachigen progressiven Buchtwitter-Bubble“ / die tatsächlich diverser lesen wollen / die diesen Blogpost lesen/…) haben ein klares Gefühl dafür, dass sich Machtstrukturen in der Gesellschaft auch in der Repräsentation in der Literaturlandschaft spiegeln: Wer Privilegien hat, wird eher gelesen/verlegt/bezahlt – und fast immer sind das weiße hetero dya cis Männer ohne Behinderung. Ich bin sehr glücklich darüber, dass gerade auch auf Twitter mehr Gegenbeispiele geteilt werden. Denn als Community der Lesenden haben wir immer eine Hand bei diesen Mechanismen im Spiel. Auch im Kleinen beeinflussen wir unser Umfeld: Wen empfehlen wir weiter, über welche Autor*innen twittern wir, welches Buch bekommt einen Blogpost und welche Rezensionsexemplare fragen wir an, wenn wir das tun?

Twitter ist ein schönes Beispiel dafür, wie diese Mechanismen (in die wir von der Gesellschaft automatisch hineingedrängt werden) immer mehr hinterfragt werden. Und auch für so viele gute Aktionen, die helfen sollen, und für Bücher, die so an einige Menschen mehr geraten als sonst. Aktionen wie solche, bei denen sich Hashtags ausgedacht werden, um mehr von bestimmten marginalisierten Menschen zu lesen, sind ein tolles Beispiel. Am verbreitetsten davon sind wohl Challenges und Hashtags mit dem Ziel, mehr von Menschen zu lesen, die keine cis Männer sind. Mehr Details in der Umsetzung (wie ein Fokus darauf, dass sich durch Namen und Bilder nicht sofort Geschlechter ablesen lassen) fehlen mir dabei definitiv noch. Aber die Idee, gezielt unter einem Hashtag Möglichkeiten für Bücher von Autor*innen zu sammeln, die keine cis Männer sind, ist gut und gibt mir immer wieder die Möglichkeit, weniger von der automatischen Übermacht von ihnen im Regal zu haben!

Bedauerlich zu sehen ist aber, dass sich viele Aktionen bis heute gezielt auf vermehrte Sichtbarkeit von Frauen beziehen. Und damit beziehen sie sich am Ende nicht auf Sichtbarkeit von (fast ausschließlich oder zumindest immer zuerst) weißen dya cis Frauen ohne Behinderung. Sie beschränken sich stattdessen effektiv beinahe ausschließlich darauf – selbst wenn sie es nicht versuchen. Denn diese Frauen werden immer die ersten sein, die Lesenden und Mitmachenden einfallen. Ein Format, in dem dann ab und zu eine nichtbinäre Person auftaucht (gern auch, ohne als solche gekennzeichnet zu sein, sodass die Behandlung hier als Handlungsumsetzung des schädlichen Begriffs der „Frauen*“ umgesetzt wird) oder in dem ab und zu eine einzelne trans Frau zu Wort kommt, ist lange nicht so progressiv, wie es zu sein versucht.

Was es bräuchte: Formate, die sich mit Diversität auf mehreren Ebenen auseinandersetzen – und die nicht bei der Förderung von ausschließlich Frauen (ohne weitere Spezifizierung) auf halbem Weg ihres Ziels aufhören (oder sogar Rückschritte machen, wenn sie transfeindlich sind oder werden). Es bräuchte Formate, die sich an alle richten, die keine cis Männer sind. Formate, die sich in ihrem Pool von Ideen nach nichtweißen Menschen umsehen, nach Menschen mit Behinderung, nach neurodiversen Menschen. Oder es sind eben Talkrunden, die sich an weiße dya cis Frauen ohne Behinderung richten. Auch das hat Zuschauende. Ich würde mich nur freuen, wenn es dann nicht als aktiv subversiv verkauft oder angesehen wird. Wo früher gekämpft werden musste, um Platz für weiße dya cis Frauen ohne Behinderung zu schaffen, sollte heute für mehr gekämpft werden. Nur solche Formate würde ich als aktiven Beitrag zur Diversität bezeichnen. Leider fehlen mir für so etwas die Kontakte und Ressourcen – aber so ein Format würde ich mir definitiv ansehen!

Ein Gedanke zu “Nicht auf halbem Weg aufhören!

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